Am vergangenen Wochenende packte mich das Reisefieber und ich machte mich ganz spontan auf die Socken und fuhr für ein Wochenende an die Ostsee. Ich liebe das Meer, aber auch die Berge. Ich glaube, ich brauche beides. Vielleicht ist es die Natur, die ich brauche und immer wieder in ihr lerne, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein. Dass es die kleinen Dinge des Lebens sind, die die Kraft haben, mich zufrieden zu stellen und mich zur Dankbarkeit ermutigen. Denn so ging es mir, als ich lange Strandspaziergänge unternahm, staunend die schönsten Sonnenuntergänge beobachtete und mein Gemüt in eine entspannte Stimmung kam, als die Wellen rauschten, mir der Wind durch die Haare fuhr und ich die Enten, Möwen und Schwäne spielen sah. Was ich außerdem sah: spielende, forschende, rennende, kletternde, lachende, sammelnde, staunende, sitzende, krabbelnde, singende, experimentierende und vor allem glückliche Kinder. Sie matschten im nassen Sand, suchten Muscheln, bauten Burgen und kleine Rinnsale, hörten gespannt den Tieren zu, suchten Stöcke, mit denen sie trommeln konnten und riefen ihre Eltern, weil sie etwas ganz Neues fanden. Es war mir ein innerliches Blumenpflücken, dass ich das erleben konnte. Und auch ich habe es genossen, Steine zu sammeln, sie mit all ihren Ecken und Kanten zu entdecken, am Strand entlang zu laufen und gut aufzupassen, wohin ich trete, um nicht beim nächsten Schritt zu stolpern. Ich habe es genossen, das Meeresrauschen hören zu können, ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen, den Tieren zuzusehen und die Kraft der Natur zu spüren. Genau das ist es – die Natur bietet uns viele Möglichkeiten und ich möchte jetzt gerade gar nicht weiter darauf eingehen, was es für uns erwachsene, fühlende, oftmals gestresste und wenig fokussierte Menschen möglich macht, der Waldesluft und dem Meeresrauschen, den Bergeshöhn und Maisfeldern zu begegnen. Eher geht es mir darum, dass der „Spielplatz Natur“ ein wunderbarer Entwicklungsort für Kinder sein kann. Während sich in vielen Familien der Umgang mit den neuen Medien auch als Entwicklungsaufgabe breit macht und es sehr viele Möglichkeiten gibt, mit Smartphone, Tablet und Co. Lernspiele anzubieten, habe ich manchmal Angst davor, dass vergessen wird, dass das nicht alles ist. Dass wir zwar oft das Gefühl bekommen, dass schon viel mehr damit möglich ist, als früher. Aber eben irgendwie auch weniger. Also – geht raus – seid kreativ! Und warum?
Ob am Meer, in den Bergen oder im Wald: Kinder können sehr viele Erfahrungen in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen machen. Wie fühlt sich der Waldboden oder der Sand unter meinen Füßen an? Über Steine, Baumstämme und kleine Hindernisse klettern – in meiner Kindheit war es ganz selbstverständlich, dass das zu einer Challenge wurde. Wer war schneller? Wer hatte die längeren Beine oder die bessere Strategie, um die Balance zu halten? Wo könnte also die Grobmotorik und damit verbundene Koordination besser ganz spielerisch gefördert werden als in der Natur? Unterschiedliche Naturmaterialien laden ein, sie mit allen uns gegebenen Sinnen zu erspüren und mit ihnen zu spielen, ihnen Bedeutungen zu geben, fantasievolle Geschichten erfinden oder ihnen eine andere Funktion zuzuordnen. Wenn Kinder auf vielen Ebenen die Chance bekommen, ihre Umwelt wahrzunehmen wirkt sich das selbstverständlich auch positiv auf die Sprachentwicklung aus. Dinge werden durch Greifen begriffen. Der „Begriff“ entwickelt sich, Kinder lernen etwas zu „begreifen“. Der Wortschatz wird erweitert – nicht nur durch das aktive Fragenstellen, wenn einfach unbekannte Dinge hinterfragt werden wollen, sondern auch durch das gemeinsame Spiel. Naturmaterialien werden zu Gegenständen, die in Geschichten eingebaut werden, sie bekommen Namen und eine wichtige Bedeutung im Spiel mit den anderen Kindern. Das fördert übrigens gleichzeitig das Sozialverhalten. Am Smartphone lernen sie wohl eher weniger Mädchen und Jungen kennen, mit denen sie sich austauschen können. Hast Du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass die Natur uns so viele Dinge schenkt, von denen wir lernen können? Farben, Formen, Eigenschaften, Geräusche, Materialien. Ich könnte die Liste verlängern. Für jede Sinneswahrnehmung ist etwas dabei. Es gibt keine Ausreden – nicht mal Regenwetter ist eine Ausrede. Ich glaube sowieso, dass es wir sind, die wohl bezugnehmend auf regnerische Tage etwas voreingenommen sind. Die Kinder an der Ostsee, die ich während meiner Reise beobachtet habe, hatten Gummistiefel an, sind ins Wasser damit gehüpft und haben es genossen, wie das Wasser nach oben gespritzt ist, welche Geräusche es gemacht hat und wie sich das kalte Wasser an den Händen anfühlt. Geht uns auch so, oder? Der erste Blick auf das Meer, wenn wir über die Dünen schauen, das erste Mal die Füße im Wasser – eine unglaubliche Sinnesbereicherung! Wir haben irgendwann während unserer Entwicklung verstanden, dass das Wasser am Meer in den kalten Jahreszeiten noch kalt ist, während wir im Sommer ohne Bedenken durchs Wasser waten können. Vielleicht wäre es doch aber auch mal wieder eine Bereicherung für uns, mit Matsch zu spielen, unsere Hände mal wieder für etwas anderes, als für Laptop, Tablet und Smartphone zu nutzen. Zu verstehen, wie es sich anfühlt, eben mal wieder etwas anderes zu fühlen. Du musst mit deinem Kind nicht ans Meer fahren. Auch nicht in die Berge. Geh vor die Tür, lauf in den Park oder in den Wald und lass es spielen, probieren, toben und turnen.
Die wichtigsten Facts auf einen Blick:
- Lernen in der Natur bedeutet: Lernen mit allen Sinnen
- Koordination, Grobmotorik, Balance werden trainiert
- Das Ertasten unterschiedlicher Materialien und Untergründe fördert die Feinmotorik und die taktile Wahrnehmungsebene.
- Schulung der Hörwahrnehmung – Meeresrauschen, Tier- und Waldgeräusche, Stille
- Stärkung des Immunsystems
- Förderung des Sozialverhaltens durch das Spiel mit anderen Kindern
- Greifen wird zum Be-greifen und anschließend zum Be-griff
- Wortschatzerweiterung durch Fragen stellen, Erkennen, Erfühlen und achtsam sein
- Kreativ werden auf allen Ebenen – Materialien werden unterschiedlich genutzt, sie werden umgewandelt, bekommen eine Rolle zugeordnet
- achtsam und aufmerksam sein für die Dinge, die uns in der Natur begegnen
- Geschichten erleben und später zum Geschichtenerzähler werden