In Thüringen ging die Schule heute wieder los und so hieß es auch für mich, meine Arbeit als Musiktherapeutin in einer Schule für geistig behinderte Kinder wieder aufzunehmen. Schon gestern Abend freute ich mich auf die Kids und das gemeinsame Musizieren, Erzählen, Singen, Lachen, Tanzen, Scherzen, Klopfen, Klatschen und Freuen während der nächsten Zeit. Die sechs Mädchen und Jungen, die gemeinsam in einer Musiktherapiegruppe miteinander aktiv sind, hatten viel von ihren Ferien zu erzählen – so kam bei allen Kindern der Weihnachtsmann und brachte kleine und große Geschenke, Silvester sahen sie die bunten Lichter in den Himmel steigen und besonders freute ich mich darüber, dass auch die Familie ein wichtiger Bestandteil der Ferien waren.
Heute hatte wieder jeder Zeit, sich aus einer Vielzahl an Orff-Instrumenten eins herauszusuchen, um auf ihm zu spielen. Das taten sie auch. Ich bot die Möglichkeit, sich erst auf dem Instrument auszuprobieren und mal zu hören, wie es klingt, eine kurze Musik zu spielen und im Anschluss daran von einem spannenden Erlebnis der Ferienzeit zu berichten. Die Schülerinnen und Schüler hörten einander zu, waren gespannt, wie die Instrumente klangen und natürlich besonders neugierig darauf, was die anderen zu Weihnachten bekommen haben und wo sie das Feuerwerk zu Silvester erleben konnten. Der Raum war erfüllt von Ruhe und Neugier, aber auch von leisen und lauten Tönen, von Blickkontakt und von lächelnden Gesichtern, von Instrumenten, die sie noch nicht kannten, aber auch von bekannten Trommeln, Rasseln und Klangstäben. Nachdem es jedem ermöglicht wurde, selbst aktiv zu werden und sich mit seinem Instrument auszudrücken und noch einmal auf das zu besinnen, was die Ferien so für jeden übrig hielten, konnten die Kinder zusammen musizieren. Es dauerte nicht lange, bis die Musik startete. Die Lust auf das neue Musiktherapiejahr schien der Gruppe, die ich schon im letzten Jahr betreut hatte, irgendwie auf die Stirn geschrieben. Jeder nahm aktiv am Gruppengeschehen teil, so wie es ihm möglich war und spielte aus einer inneren Freude heraus, wie es mir als Therapeutin wichtig war. Es waren weder Metrum, Rhythmus oder Melodie zu erkennen – darum ging es auch gar nicht. Denn jeder hatte die Chance, etwas nach außen zu kehren, was in ihm steckt. Und das ist das Wertvollste dieser Stunde gewesen. Was ich damit beschreiben möchte:
Was macht eine Gruppe innerhalb musiktherapeutischen Handelns so lohnenswert?
All das, was innerhalb dieser und auch anderer Musiktherapiegruppen geschieht, findet sich im Alltag wieder. Auch wenn die gemeinsam musizierende Gruppe „nur“ zusammengestellt ist, um sich für 45 Minuten einmal in der Woche zu treffen, so finden doch auch diese auftretenden sozialen Prozesse außerhalb statt. Nämlich dort, wo sich soziales Miteinander befindet. Jeder der Teilnehmer nimmt unterschiedliche Rollen ein – er ist Schüler, er ist Kind, er ist Freund und Feind, er ist Enkel, er ist Sportler. Und auch in einer Musiktherapiegruppen werden unterschiedliche Rollen angenommen, die sich jedoch nicht gleich anfangs, sondern erst im Gruppenprozess zeigen. Umso wertvoller ist es, eine Gruppe nicht nur für wenige Wochen zu betreuen, sondern über einen längeren Zeitraum Möglichkeiten zu bieten, in denen die Teilnehmer miteinander ins Handeln kommen, so wie sie es „in der großen Welt“ auch tun. So ist es möglich, sich auch einmal in unterschiedlichen Rollen auszuprobieren – vielleicht traut man sich das erstmal noch nicht am Anfang und schon gar nicht, wenn man außerhalb der Gruppe ist und sich im „normalen“ sozialen Alltag befindet. Doch gibt es immer einen Weg, auch als Therapeut, diese Rollenflexibilität herauszufordern. Natürlich in einer Balance, die weder über- noch unterfordert und mit dem notwendigen Feingefühl. Gruppensituationen bieten außerdem Raum für Kommunikation – auch als Therapeut kann man sich mal herausnehmen und gewisse Entscheidungen der Gruppe überlassen. Die Fähigkeit, miteinander zu sprechen, etwas zu diskutieren oder zu verhandeln wird enorm wichtig in einer Zeit, in der wir lieber miteinander über soziale Netzwerke schreiben, statt tatsächlich miteinander zu sprechen und uns in die Augen zu sehen. Andererseits bietet eine Gruppe Schutz für den Einzelnen – es ist ein gutes Verhältnis zwischen Anforderung und Rückzug gegeben. Nun liegt es am Therapeuten, was er daraus macht und inwiefern er auf die Bedürfnisse der Patienten / Klienten / Teilnehmer eingeht.
Was ich damit sagen will ist, dass es sowohl lohnenswert für die Gruppenmitglieder als auch für mich als Musiktherapeutin ist, mehrere unterschiedliche und somit facettenreiche Menschen vor mir sitzen zu haben, die aktiv miteinander ins Geschehen kommen können. Es entstehen neue Möglichkeiten, aber es werden auch Grenzen kennengelernt. Als Individuum hat man Zeit zur Initiative, doch auch den Schutz, um sich zurückzuziehen.
Selbstverständlich bedarf es einer genauen Einschätzung des Therapeuten, wer für eine Gruppe geeignet ist und wie innerhalb dieser gearbeitet wird. Und genau das macht es wohl aus, Therapeut zu sein. Dieses Einfühlungsvermögen zu haben. Keiner sagt, dass es einfach ist, eine Gruppe zu steuern und zu schützen. Aber es wird sich lohnen, einen Blick in das Feld „Gruppentherapie“ zu werfen!